Stille finden (Kunstverein Neckar-Odenwald, 2016)


Auch wenn das 1821 erbaute und längst stillgelegte "Alte Schlachthaus" in den Anlagen des LGS-Parks der Stadt Mosbach seit bald 20 Jahren als Ausstellungshalle des Kunstverein Neckar-Odenwald genutzt wird, ist im Ambiente der leeren Räume die ursprüngliche Nutzung des Gebäudes noch immer präsent. Elisabeth Bader bettet ihre weitestgehend aus Papier geformten Werke ganz gezielt in diese Stimmung und rückt mit "Stille finden" das sensible Gefüge von Natur und Leben in den Fokus ihrer Schau.

Die maschinenhafte Lebendigkeit in ihren Objekten agiert im Spannungsfeld der auf den ersten Blick entgegengesetzten Formensprachen von Natur und Technik. Die Werke erinnern an abstrakte Mutationen, an geheimnisvolle Maschinenwesen mit einer neuen, von der Künstlerin entworfenen lebendigen Funktionalität. Die Arbeiten machen deutlich, dass gewachsene organische Strukturen vom Mensch leicht zerstört, aber nicht wirklich „nachgebaut“, „repariert“ oder „konstruiert“ werden können. Täuschend echte Felsbrocken entpuppen sich als aus Papier geformte Hüllen, netzartige Formgebilde als von Hand geflochtene Raumzeichnungen aus Bindeschnur.

Elisabeth Bader setzt bewusst wertlos gewordene Materialien wie Altpapier ein, das in ihren neu entwickelten Formen und Gebilden wieder an Wertschätzung gewinnt. Stets ist dabei großer Respekt vor der Kraft der Natur und des Lebens zu spüren.

Künstlergespräch mit ...

Der Kunstverein hat 2 Ausstellungsräume zur Verfügung, das Alte Schlachthaus ist der kleinere. Warum hast du dem Alten Schlachthaus den Vorzug gegeben?

Beide Ausstellungsräume des Kunstvereins werden im Internet mit Fotos präsentiert. Für mich war nicht die Größe ausschlaggebend, sondern der Charakter des Raumes. Räume an sich interessieren mich. Sie stehen über den Arbeiten, geben eine gewisse Atmosphäre oder Aura vor. Nutzräume haben oder hatten eine bestimmte Funktion vor, z.B. eine ehemalige Remise, ein Heimatmuseum oder wie hier ein alter Schlachthof. Als überzeugte Vegetarierin könnte man meinen, mich widert dieser Ort an, für mich ein Ort des Todes. Gleichzeitig zieht er mich aber auch an. Für mich war bei der ersten Besichtigung klar, hier will ich ausstellen, auch wenn in den anderen Raum mehr Arbeiten hineinpassen. Doch um die Menge geht es mir nicht. Ich möchte gemeinsam mit dem Raum gut agieren können. Welche Arbeit funktioniert hier, welche nicht, was kann ich von der Architektur aufgreifen und darauf reagieren, bzw. wie kann ich mit meinen Arbeiten und Nutzungsraum Schlachthaus interagieren.

In deinem Ausstellungstitel „Stille finden“ könnte sich eine gewisse Sehnsucht verbergen. Welche Bedeutung hat er für dich im Zusammenhang mit dieser Ausstellung?
Im Ausstellungstitel „Stille finden“ verbergen sich unterschiedliche Aspekte, davon tatsächlich eine gewisse Sehnsucht. Ich habe oft eine starke innerliche Unruhe in mir, bin immer wieder auf der Suche nach Ausdruck, nach einer Form der für mich idealen Lebensgestaltung (falls es die überhaupt für jemanden gibt) und ertrage Lärm ausgesprochen schlecht. Ich liebe die Stille, die ich in der Natur finde, die zwar auch sehr laut sein kann, jedoch nicht vom Mensch gemacht. Vor ein paar Jahren entstanden mehrere Maschinenwesen aus Papier, die Sehnsüchte und Wünsche für mich realisieren sollten. Eines dieser Wesen ist der Stillefinder, der im Vorraum den Besucher empfängt. Ein ausgesprochen praktisches Objekt.
Insgesamt sind meine Arbeiten ruhiger, die Farben schreien nicht, sie bewegen sich nicht, sie möchten, dass der Besucher innehält, sie beobachtet und betrachtet, Einzelheiten entdeckt, sie umwandert, sich seine eigenen Gedanken macht.
Ein anderer Aspekt für den Titel ist das Schlachthaus, ein ehemaliger Ort des Todes, in dem viele Tiere ihr Leben lassen mussten. Ich denke die wenigsten von ihnen sind lautlos gestorben. Tiere spüren, wenn sie in Lebensgefahr sind, aber leider war es ihr Schicksal. Nach dem Tod kam die Stille, kein Quietschen, Muhen, Schreien, Krähen. Die Stimme hat den Körper verlassen.

Deine Arbeitsmaterialien sind überwiegend Pappe, Papier, Leim, Draht. Was fasziniert dich daran?
Diese Frage bekomme ich oft zu hören. Papier an sich hat mich schon immer fasziniert. Als Kind hab ich Berge an Papier bemalt und bezeichnet, auch die Tapete an der Wand beim Telefon. Papier ist so vielfältig in seiner Ausformung, sei es leicht, schwer, transparent, farbig, handgemacht oder industriell gefertigt. Wir sind permanent davon umgeben, nutzen es im Alltag. Jedes Papier verhält unterschiedlich, und vor allem: es ist formbar. Meist wird Papier nur als Träger für Zeichnung oder Schrift genutzt, bzw. als Verpackung. Für mich ist es Gestaltungsmaterial für Raumbilder und Objekte. Ich benutze wenig „schönes“ handgeschöpftes Papier, das ist mir viel zu teuer. Viel Papier sammle ich bzw. lasse es sammeln oder nutze günstiges Industriepapier. Zusätzlich sind Objekte aus Papier – soweit sie innen hohl sind – auch wesentlich leichter als Objekte aus Holz, Stein oder Keramik. Ich kann sie selbst tragen, zerlegen, neu zusammenbauen und bin nicht ständig auf andere Leute oder Kräne angewiesen, wenn es um den Transport geht. Draht ist für mich eine ideale Ergänzung. Papier bekommt meist die Rolle des Körpers, verschiedene Leime härten oder halten alles zusammen, der Draht entspricht der Kommunikation von innen und außen. Kommen aus dem Körper heraus wie z.B. unsere Haare, scheinen ein nach außen zu tretendes Innenleben zu sein, wie freigelegte Arterien oder ein Gerüst. Für mich ist wichtig: Draht verwende ich niemals als Gerüst für das Objekt, es ist eigenständiges Gestaltungsmittel, welches mit dem Papier interagiert.

Deine Werke betrachtend, fällt es mir schwer sie zu benennen. Sie sind so ganz anders. Wenn du im Atelier bist und etwas Neues beginnen möchtest, hast du einen Plan, eine Vorstellung? Was ist der Ursprung deiner Arbeiten?
Meine Arbeiten haben unterschiedliche Ursprünge. Manche entstehen beim Spielen mit (neuen) Materialien, wenn ich ausprobiere, was birgt es Gestaltungsmaterial für Möglichkeiten, ohne den Druck zu haben, es muss etwas Tolles herauskommen. Andere Ursprünge sind Themen die mich beschäftigen, faszinieren, z.B. sind es momentan viele Naturthematiken. Ich beobachte Vögel oder Insekten, schaue mir ihren anatomischen Aufbau an, ihr Verhalten, oder die Art und Weise wie Wachstum in der Natur funktioniert. Da profitier ich am meisten für meine Arbeit und kann so Manches übernehmen. Z.B. wie bricht Gestein, schaff ich es von der Natur gestaltete Steinbrocken nachzubilden oder nicht. Vor ein paar Jahren waren es ausschließlich innere Sehnsüchte, Bedürfnisse, Emotionen oder auch Wünsche, die ich dann in Formen umsetzte.

Du nennst eine Werkgruppe Maschinenwesen: Druckwegspüler, Endorphinomat, Zeitenspieler.Worum geht es dabei?
Diese Arbeiten entstanden alle vor vier, fünf Jahren. Ich musste für mich eine ziemlich belastende Zeit verarbeiten. Irgendwann hatte ich die Idee, ich könnte für alle meine Sehnsüchte, Wünsche etc. eine Maschine bauen, die für mich dann auch funktioniert. Z.B. ist ein „Endorphinomat“ ein ausgesprochen praktisches Wesen. Es hat eine Art Anschluss nach außen, gefüllt mit rosa Wolle. Darin stecke ich einen Finger rein, die Maschine setzt sich in Bewegung und versorgt mich mit zusätzlich benötigtem Endorphin. Ähnlich funktionieren der „Druckwegspüler“ oder der „Kraftumulator“, der mich jederzeit mit neuer Kraft und Stärke versorgen kann. Nicht zu vergessen den kleinen „Auskotzer“, der im Treppenaufgang ins Obergeschoss hängt. Klein, handlich und für den Hausgebrauch. Wer braucht das nicht? Mittlerweile gibt es eine ganze Familie davon.

Deine Arbeit „nach der Erschöpfung“ fällt aufgrund des verwendeten Materials aus dem Rahmen und es handelt sich dabei um eine jüngere Arbeit. Deutet sich hier ein neuer Weg an?
Ebenso wie das Schaf, das auch zum großen Teil mit Schnur gefertigt ist. Vor wenigen Jahren war ich von Papier etwas genervt. Ich war auf der Suche nach neuen Materialien, die mich faszinieren und herausfordern. Ich weiß nicht mehr genau wie ich auf Schnur gekommen bin. Schnur an sich hat eine Antiform, sie ist nicht wirklich modellierbar ohne Handarbeitstechniken anzuwenden oder über ein Gerüst zu wickeln. Mich reizte: Schaffe ich es ohne ein Gerüst zu verwenden eine dreidimensionale Form nur aus Schnur zu schaffen, die sich selbst hält und nicht gleich wieder in sich zusammen fällt. Es geht tatsächlich.
Es ist zwar ein neuer Weg, jedoch keiner den ich nun manisch abarbeiten werde. Um so eine Arbeit zu schaffen benötige ich einige Monate Zeit, sehr viele Pflaster für wunde Finger und immer eine parallele Nichtschnurarbeit dazu. Für mich ist es eine neue Herausforderung und Ergänzung zum Papier, ebenso wie Gebrauchsstoffe, die bei mir eine neue Nutzung finden. Davon gibt hier auch eine kleine Arbeit, „Stöpsel klein“.

Wieviel Meter Schnur stecken in dieser Arbeit? Was ist das Geheimnis der Konstruktion?
Es müssten etwa zweieinhalb bis drei Kilometer sein.
Spannung in verschiedenste Richtungen, viele viele Knoten und ja keine Schnur mit Synthetikanteil verwenden. So, nun kann es jeder nachmachen.

Im Vorraum finden wir die größte Arbeit (Stadtschwarzlichtung), eine wuchernde Bildfläche aus Papier, Klebestreifen und Pigment. Warum hängt diese sehr große Arbeit ausgerechnet im doch relativ kleinen Vorraum?
Der Vorraum ist zwar einiges kleiner, jedoch bietet er die größte nicht unterbrochene Wandfläche und somit für mich die Möglichkeit, diese Arbeit zu präsentieren. Eigentlich benötigt man einen ziemlich großen Abstand um die „Stadtschwarzlichtung“ auf einen Blick ganz sehen zu können. Das ist hier nicht so einfach, dazu steht auch noch dieses weiße Objekt, der „Stillefinder“, im Weg. Ich möchte, dass der Betrachter sich bewegt, auch überlegt, was kann er machen, wo muss er sich hinstellen um einigermaßen die Arbeit sehen zu können ohne die die verschiedenen Bildelemente im Kopf addieren zu müssen. Dies kann verschiedenste Emotionen auslösen. Jedoch kann jeder sehr nahe hin, Details betrachten.
Ich schätze auch, die wenigsten erwarten so eine große und auch wuchtige Arbeit gleich wenn sie hereinkommen. Einige Leute werden wohl erst stehen bleiben, gehen nicht direkt in den Hauptausstellungsraum. Für mich ist es eine Arbeit die Platz und Zeit für Kontemplation bietet.